Auf direktem Weg zur beruflichen Vorsorge für Selbstständige | Die Wirtschaftsfrau
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Corin Ballhaus, Leiterin IMPAVIDA.

Auf direktem Weg zur beruflichen Vorsorge für Selbstständige

Guten Tag Frau Ballhaus. Der Verband Frauenunternehmen hat sich das Thema Selbstständige und ihre berufliche Vorsorge auf die Fahne geschrieben. Was hat Sie dazu bewogen?

Wir engagieren uns für das Thema, weil Selbstständige zwar „selbst und ständig“ arbeiten, ihr Zugang zur beruflichen Vorsorge aber sehr stark eingeschränkt ist. Und es ist nicht so, dass dies nur einige Wenige in der Schweiz betreffen würde.

In der Schweiz ist heute fast jede respektive jeder fünfte Erwerbstätige selbstständig.

Da ein Grossteil unserer Mitglieder Selbstständige und damit Direkt-betroffene sind, ist es uns ein grosses Anliegen, uns für sie stark zu machen und ihnen den Zugang zur beruflichen Vorsorge zu erleichtern.

Wieso besteht diese Lücke, wo doch das 3-Säulen-System der Schweiz Vorbildcharakter hat?

Das Schweizer Vorsorgesystem beruht historisch bedingt auf dem klassischen Angestelltenverhältnis. Es schützt in erster Linie die Arbeitnehmenden und verpflichtet die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, ihre Mitarbeitenden obligatorisch in der ersten und zweiten Säule zu versichern und sich an den Sozialversicherungsbeiträgen zu beteiligen.

Und was ist bei den Selbstständigen anders?

Selbstständige sind Arbeitgeberin und Arbeitnehmende in Personalunion. Dementsprechend zahlen sie sowohl den Arbeitergeber- als auch den Arbeitnehmerbeitrag. Für sie besteht nur die AHV-Pflicht. Ein Anschluss an eine BVG-Lösung ist für sie freiwillig.

Freiwilligkeit lässt ja auch Freiheiten. Vernachlässigen Selbstständige ihre Vorsorge?

Unsere Erfahrung ist da eine andere. Das Vorsorgethema ist aufgrund der Komplexität vielleicht nicht gerade ihr Lieblingsthema. Doch bei wem ist es das schon? Aber es ist nicht so, dass Selbstständige die Verantwortung für ihre berufliche Vorsorge nicht würden wahrnehmen wollen. Bloss: Der Vorsorgemarkt bietet ihnen deutlich weniger Möglichkeiten, dies auch in die Tat umzusetzen.

Wie das? Es gibt doch unzählige Anbieter für all jene Firmen, die keine eigene Pensionskasse gründen können oder wollen.

Ja, bloss dürfen die unabhängigen Sammelstiftungen per Gesetz keine Selbstständigen anschliessen. Es sei denn, die Selbstständigen beschäftigen BVG-pflichtige Mitarbeitende. Dann können sie sich zusammen mit ihnen dort anschliessen. Ansonsten dürfen unabhängige Sammeleinrichtungen nur
Mitarbeitende von AG und GmbH versichern.

Und welche Alternativen bleiben den Selbstständigen ohne Mitarbeitende?

Wenn sie Glück haben, sind sie Mitglied eines Berufsverbands, der über eine eigene Vorsorgeeinrichtung verfügt. Die gibt es insbesondere in gewerblichen oder medizinischen Berufen. Für viele andere Berufsgruppen besteht allerdings nicht einmal ein Branchenverband oder wenn, dann keiner mit einer eigenen BVG-Lösung. Das trifft bei unseren Mitgliedern, die überwiegend in den Bereichen Berufsbildung/Schulung, Kommunikation/Marketing, Gesundheitswesen oder Finanzdienstleistungen selbstständig sind, auf die Mehrheit zu.

Da lässt ja Gesetzgeber und Vorsorgemarkt tatsächlich eine Menge Erwerbstätige im Regen stehen.

Nicht ganz. Eine weitere Alternative sieht das BVG noch vor.

Bloss weiss in der Praxis kaum jemand davon.

Die Stiftung Auffangeinrichtung BVG nimmt aufgrund ihres staatlichen Auftrags alle Erwerbstätigen auf, unabhängig davon, ob sie angestellt oder selbstständig sind. Sie darf aber weder Werbung für ihr Angebot machen, noch zahlt sie eine Kommission, wenn ein Broker oder eine Vorsorgeberaterin ihr Versicherte vermittelt. Daher ist vielen Selbstständigen das Angebot gar nicht bekannt.

Wie können denn Selbstständige überhaupt vorsorgen, wenn nicht über die zweite Säule?

Den meisten bleibt nicht anderes übrig, als neben der Grundsicherung durch AHV im Rahmen der dritteln Säule, also der privaten gebundenen oder freien Vorsorge, für das Alter zu sparen. Viele von ihnen haben dafür ein Säule-3a-Konto bei einer Bank gewählt. Dies wird ihrer Einkommensentwicklung, die nicht im Voraus bekannt ist und selten linear verläuft, besser gerecht. Dort können sie als Erwerbstätige ohne zweite Säule jährlich Einzahlungen bis zu 20% ihres AHV-Einkommens oder maximal CHF 34’128.00 leisten.

Das tönt doch per se ganz passabel.

Nachteilig ist, dass die Risiken Tod und Invalidität unversichert bleiben und die Betreffenden daraus auch keine Rentenzahlungen generieren können. Sollten Sie zudem über ein Freizügigkeitsguthaben aus ihrer Zeit als Angestellte verfügen, wird dies dereinst ebenfalls ausschliesslich als Kapital ausbezahlt. Diesen „Kapitalberg“ so einzuteilen, dass er bis zum Lebensende reicht, überfordert Viele. Leibrentenversicherungen gibt es, sind aber teuer.

Lassen Sie uns nochmals auf die Rolle der Verbände zurückkommen. Wäre es nicht eine Option, neue Berufsverbände zu gründen, die dann ihren Mitgliedern BVG-Lösungen anbieten?

Das halte ich für eher unwahrscheinlich. Der digital bedingte Transformationsprozess in der Arbeitswelt und die Atomisierung der Wertschöpfungsketten lassen gerade viele neue Berufe respektive Berufsbezeichnungen entstehen. Viele dieser Berufe werden genau so schnell wieder verschwinden, weil sie sich inhaltlich verändern oder nicht mehr gebraucht werden. Damit fehlt Mono-Berufsverbänden schlicht und einfach die Basis für ein nachhaltiges Mitgliederwachstum.

Dann ist der Verbandsweg also keine Alternative?

Ganz im Gegenteil: Für mich ist der Weg einer BVG-Verbandslösung sogar ein sehr wichtiger.

Verbände vertreten per Definition kollektiv die Interessen ihrer Mitglieder.

Breit aufgestellt, haben sie in der Öffentlichkeit eine höhere Wahrnehmung und können den Anliegen ihrer Mitglieder besser Gehör verschaffen. Nun ist es aber nicht so, dass Sie einfach einen Verband gründen können, dessen einziger Zweck die berufliche Vorsorge seiner Mitglieder ist. Dem schieben Aufsichts- und den Steuerbehörden einen Riegel.

Was braucht es denn sonst?

Nehmen Sie das Beispiel unseres Verbands. Wir vertreten seit über 20 Jahren Frauen mit eigener Firma. Das sind fast ausschlieslich Solo-Unternehmerinnen, ob sie nun eine AG, GmbH oder Einzelfirma führen. Unsere Mitglieder stammen wie gesagt aus den unterschiedlichsten Berufen. Wir bieten ihnen die Plattform, ihre Erfahrungen über die Themen auszutauschen, die sie in ihrem Unternehmerinnen-Alltag beschäftigen. Ob es nun darum geht, wie sie ihre Liquidität planen, wie sie ihr Angebot im Markt präsentieren, wie sie neue Kunden gewinnen. …

… oder wie sie ihre Vorsorge regeln.

Genau. Die meisten von uns haben auf der Suche nach einer BVG-Lösung eine wahre Odyssee hinter sich. Das wollten wir nicht länger hinnehmen, sondern haben ganz unternehmerisch die Herausforderung angenommen, diese Odysee abzukürzen und einen direkten Weg zu finden. Mit den Plattformen für den Erfahrungsaustausch oder Weiterbildungsangeboten, wie wir sie zu anderen Themen anbieten, wäre es da aber nicht getan gewesen. Wir wollten eine konkrete Lösung entwickeln.

Was haben Sie unternommen?

Wir sind zunächst auf das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann EBG zugegangen, um uns Schützenhilfe beim Füllen der Lücke im BVG-System zu holen. Dort sind wir auf offene Ohren gestossen und waren so bestens für den weiteren Weg gerüstet. Was uns ebenfalls geholfen hat, war die Oberaufsichtskommission der beruflichen Vorsorge, die just zu dieser Zeit den Sammeleinrichtungen erstmals erlaubte, Branchenverbände anzuschliessen. Ansonsten hätten wir nämlich nur eine eigene Pensionskasse gründen können, was unsere Möglichkeiten überfordert hätte.

Wie hat der Vorsorgemarkt auf Ihr Vorhaben reagiert?

Den roten Teppich hat niemand für uns ausgerollt. Die meisten hatten schlicht kein Bild von Selbstständigen, oder ein falsches, zumal es nicht die oder den Selbstständigen gibt. Erschwerend kam hinzu, dass wir unseren Mitgliedern berufsübergreifend Zugang zur BVG-Lösung geben wollten.

Ihre bestehenden Raster konnten sie also auf uns nicht anwenden.

So haben uns die Anbieter erst einmal auf eine Aufsichts- und Steuerbehördentour geschickt, um uns dann auf später zu vertrösten, mit dem Argument, zunächst einmal Erfahrungen mit Mono-Branchen-verbänden zu sammeln. Aber glücklicherweise waren auch Anbieter darunter, die nicht nur Probleme und Risiken sahen, sondern sich engagiert und lösungsorientiert für unsere Anliegen eingesetzt haben.

Und nun haben Sie Ihr Ziel erreicht?

Wir sind stolz darauf, dass wir seit zwei Jahren der erste und bislang immer noch einzige Branchenverband sind, der eine BVG-Lösung initialisiert hat, der sich Solo-Unternehmerinnen und -Unternehmer anschliessen können, egal in welchem Beruf sie tätig sind und welche Rechtsform sie für ihre Firma gewählt haben. Möglich gemacht hat dies unser Vorsorgepartner, die Stiftung Auffangeinrichtung BVG. Mit der vorliegenden Lösung haben wir ein wichtiges Etappenziel erreicht und ein solides Fundament geschaffen.

Sie schliessen auch Unternehmer an?

Ja, dem ist so. Zum einen war es eine logische Voraussetzung des EBG. Zum anderen trifft die Lücke in der beruflichen Vorsorge auch Solo-Unternehmer.

Und welches Endziel visieren Sie mit Ihrer BVG-Verbandslösung an?

Uns schwebt ein eigenes Vorsorgewerk vor, das der Lebenssituation und den Bedürfnissen der Selbstständigen über das BVG-Obligatorium hinaus gerecht wird. Die gesetzliche Eintrittsschwelle zur beruflichen Vorsorge, die von einer Vollzeitbeschäftigung ausgeht, stellt für einige immer noch eine Hürde dar, die zumindest phasenweise unüberwindbar ist. Vor allem für diejenigen, die Firma und Familie verbinden. So zeigt die Statistik, dass von den weiblichen Selbstständigen ohne Mitarbeitende rund 70% Teilzeit erwerbstätig sind.

Also sind Sie doch noch nicht ganz am Ende Ihrer Odyssee?

Als Odyssee würde ich es nicht mehr bezeichnen. Wir haben inzwischen klar Kurs auf unser Ziel genommen. Dass die Vorsorge-See dazwischen auch mal rau werden kann und wir uns eher auf einer Weltumseglung denn auf einem Kurztörn befinden, liegt in der Natur der Sache. Ich bin aber überzeugt, dass das BVG für Selbstständige im Hinblick auf die Arbeitswelt 4.0 und eine mögliche gesetzliche Beitragspflicht ein Zukunftsmarkt ist. Wir sind weiter so unerschrocken unterwegs, wie es der Name unserer BVG-Lösung sagt: impavida. Wichtig ist, dass Politik und Vorsorgemarkt ein realistischeres Bild von uns Selbstständigen bekommen. Und das vermitteln wir ihnen gerne.

Rubrik

gefragt

Ausgabe

Finanzen und Karriere

Corin Ballhaus

Funktion
Leiterin IMPAVIDA

Webseite
impavida.ch
frauenunternehmen.ch

Corin Ballhaus beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit dem Thema Vorsorge. Zunächst aus der Perspektive der Produktverant-wortlichen einer Bank, später als Redaktionsleiterin eines Vorsorge-magazins. Nachdem sie sich 2005 als Kommunikationsberaterin selbstständig gemacht hat, organisierte sie u.a. schweizweit BVG-Podien und war für das Magazin eines Vorsorgeanbieters verantwortlich. Die letzten vier Jahre hat sie im Rahmen des EBG-Projekts des Verbands Frauenunternehmen IMPAVIDA mitent-wickelt und begleitet nun die Weiterentwicklung der BVG-Verbandslösung.

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